Erreichen der Traum-Masse


7/2014

Heute: Ich in ›Nachbarn Kennenlernen‹

So springt es einem auf zehn mal zehn Meter großen Transparenten entgegen, wenn man nach mehrstündiger Zugfahrt endlich den Schweizer Bahnhof Basel SBB erreicht und dessen Bahnhofshalle betritt. Irritiert überlegt der Deutsche kurz, ob es sich hierbei wohl um die Werbung für übermäßigen Verzehr der vielgerühmten Schweizer Schokolade handelt, der einem diese ersehnte Körpermasse zu verschaffen verspricht. Kurz darauf aber besinnt er sich auf seine selbstverständlich gründliche Reisevorbereitung: der Schweizer in seiner natürlichen Umgebung kennt weder ein ›ß‹ noch dessen für uns Deutsche gewohnte Verwendung.
Aus diesem Umstand entstehen so amüsante Dinge wie eben jene Traummasse oder die zahlreichen, in den Schweizer Stadtplänen verzeichneten ›Strasse‹, die sicher nichts mit Glasmodeschmuck zu tun haben.

Willkommen bei meiner ganz persönlichen Premiere. Ich schreibe einen Urlaubs-Blog! Gern würde ich anfügen »aber keinen gewöhnlichen!«, aber das wäre vermutlich anmaßend, auch wenn dies sicher kein Urlaubstagebuch à la »Heute waren wir baden« wird.
Ich habe mich auf eine kurze Entdeckungstour zu unseren eidgenössischen Schokolade-und-Käse-Nachbarn begeben, inspiriert und motiviert durch die Gerhard Richter Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel, und weiter befruchtet durch den Gedanken, dieses uns ja gar nicht so fremde Land kaum je gesehen noch kennengelernt zu haben. Einem relativ wenig strukturierten Blick auf die Landkarte und in den Reiseführer entsprangen dann die eher subjektiv und spontan ausgewählten Stationen Basel, Lausanne, Zürich und St. Gallen.

Gut. Also Basel. Ich hatte, von ihrer spezifischen Grenzlage abgesehen, nicht viel von dieser Stadt gehört und bin somit ohne große Erwartungen oder Vorurteile dort angekommen.
Die allerbeeindruckendste Sehenswürdigkeit, die diese Stadt zu bieten hat, ist der Blick auf sie vom Wasser aus. Und zwar nicht etwa vom Boot oder einer Rheinfähre, sondern ganz höchstselbst direkt aus dem Wasser: das sogenannte ›Rheinschwimmen‹. Eine großartige Baseler Institution und umso erstaunlicher, dass sie erstens erlaubt und zeitens auch noch kostenlos ist (ein Zustand, der sich so schnell in diesem Urlaub nicht wiederholen sollte).
Das Prinzip ist folgendes: Man organisiert einen wasserdichten Sack, begibt sich zu einer bestimmen Einstiegsstelle, schmeißt sein Hab und Gut in eben jenes Behältnis, bindet es sich irgendwie um und steigt, gemeinsam mit den vielen anderen ›Rheinscheimmern‹, ins Wasser. Die Rheinströmung hier ist so stark, dass man sich von nun an einfach, auf seinen Schwimmsack gestützt wie auf einen Rettungsring, von der Strömung flussabwärts treiben lassen und die Aussicht genießen kann. An einem der vielen Ausstiegspunkte, von denen viele mit extra dafür vorgesehenen Bremsmöglichkeiten (am Ufer befestigte Ketten oder Griffe) versehen sind, legt man eine Pause ein oder lässt sich am Ufer von der Sonne trocknen, bevor man seine trocken gebliebenen Utensilien wieder aus dem Sack holt und zu Fuß durch die Stadt witerzieht.
…die alles in Allem eher ernüchternd daherkommt. Architektonisch helfen die zahllosen Herzog & de Meuron Architektur-Perlen kaum über die Gräue, Enge und Menschenleere der Innenstadt hinweg, sodass von ›Stadtbild Prägen‹ trotz derer großen Zahl hier kaum die Rede sein kann. Hier stellt sich kein Gefühl von Verweilen ein.

Lausanne, kurz vor Franznasenland. Eine schöne Stadt, ein See, Berge und so. Und sie sprechen Französisch, das macht die Menschen sympathisch!
Auf dem großen Theaterplatz gibt es einen schönen, völlig unübersichtlichen, riesigen Flohmarkt, auf dem alte Franzosen (ja ich weiß, keine Franzosen, aber sie sehen doch so französisch aus!) haufenweise Kisten mit noch viel haufenweiserem unglaublich unnützem Zeug anschleppen und vermutlich seit 15 Jahren zu verkaufen suchen. Ich für meinen Teil konnte nicht widerstehen und musste einen altmodischen, bräunlich getönten Glasmessbecher für 2 Franken kaufen, und wenn nur, um meine Mitbewohner mit der französischen Beschriftung zu ärgern!
Lausanne? Eine etwas zwiespältige, sehr französisch anmutende Stadt mit einer hübschen kleinen historischen Altstadt, einem kleinen Segelhafen und fancy neu gestalteten ehemaligen Industrie- und heute Unterhaltungsvierteln mit teuren Bars, alles direkt beieinander.

Wenn man mit der Bahn in Hauptbahnhöfe europäischer Städte einfährt, lässt die jeweilige Bahnhofsumgebung oft noch nicht auf das zugehörige Stadtbild schließen. So ist es wohl auch bei den beiden Deutsch-Schweizer Städten Basel und Zürich. Nach der Baseler Ernüchterung fragt man sich bei genau dieser Bahnhofseinfahrt beim Anblick der beige-grauen Hochhäuser um die Gleise herum, was einen nun hier erwarten könnte.
Ein erster nachmittäglicher Stadtrundgang einmal rings um die Limmat, um die herum sich der Zürcher Stadtkern gleichmäßig verteilt, bei allerherrlichstem Stadtrundgangwetter versichert uns, dass in der Schweizer Urbanität noch nicht alle Hoffnung verloren ist.
Zürich, von dem man sich nach einer Weile Bewunderung klar macht, dass es ja von aller Kriegszerstörung des 20. Jahrhunderts verschont geblieben ist, überrascht hinter jeder Ecke neu mit wunderschönen Fassaden, kleinen Gassen und gemütlichen Cafés und Restaurants. Hier scheint es kein Wort für ›hässlich‹ zu geben, zumindest aber braucht man es einfach nicht. Wo man auch hin schaut, alles ist irgendwie hübsch und nur höchstens 50 Meter vom Fluss oder See entfernt. Innerhalb von 20 minuten Autofahrt erreicht man alle paar Meter einen neuen Aussichtspunkt auf den Erhöhungen, in deren Tal sich der wunderschöne und klare Zürichsee ausbreitet. Da weiß man gar nicht, ob man zuerst baden, essen, flanieren oder wandern gehen soll. Ich bin begeistert, raste aus, drehe durch, so schön is das!
Nachdem ich dieses Zürich nun einmal live und selbst erleben durfte, werde ich nun das Schweiz-Kapitel aus Stefan Zweigs ›Erinnerungen‹ noch einmal lesen müssen, um dessen Bedeutung als Zufluchtsinsel während der Kriege neu und jetzt ganz anders erfahren zu können.
Bleibt zu hoffen, dass die hier bald in die Euro Zone eintreten, damit man sich da auch mal ein Eis kaufen kann, ohne vorher einen Kredit aufnehmen zu müssen…

Wieder fort und zum letzten Ziel: St Gallen. Eine unlogische Stadt. Hier gibt es keinen See und keinen Fluss. Das macht überhaupt keinen Sinn. Warum sollte hier irgendjemand leben wollen?!? Die historische Relevanz durch die Klosterbibliothek ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.
Ansonsten eine Stadt mit gefühlt ›ausgeleckten Ecke‹. Hier gibt es keinen Dreck, keine Baustellen, keine Obdachlosen, und auch sonst nichts, was es in normalen, lebendigen Städten geben müsste, worüber man sich aber immer nur aufregt. Darüber hinaus haben hier alle(!) gastronomischen Einrichtungen über den Sommer Sonntags zu. Ich weiß nicht, ist hier ein Hier ist die Welt noch in Ordnung angebracht?

Also, ich mag meinen Regenschirm ja wirklich gern. Er ist pink, mit blauen Herzen. Und er hat einen lila Stiel. Aber nach einer Woche Dauernutzung habe ich echt keine Lust mehr auf den. Während alle in Hamburg bei 30 Grad sicher jeden Tag baden waren, habe ich in der Schweiz tagelang meinen Schirm von einer Stadt zur nächsten getragen. Ich finde das nicht gerecht.

Und à propos Schweiz. Was ich über die Schweiz und die Schweizer auf meiner kleinen Rundreise erfahren habe? Sicher einiges.
Alles ist viel zu teuer. Zumindest für deutsche Normalverdiener. Das ist schade, denn es ist wirklich sehr schön und ich könnte mir vorstellen, hier öfter herzukommen. Allerdings nicht unter diesen Voraussetzungen.
Man ist stolz. Überall kleben kleine weiße Kreuze auf roten Tassen, Kochlöffeln, Windjacken oder Regenschirmen(!). Man weiß, dass man eben nicht Deutsch ist. Sondern Schweizer.
Es ist interessant, eine Schweizer Tageszeitung zu lesen. Das heilt einen ein wenig von unserem angeborenen und antrainierten Germano-Zentrismus. Nicht jedes politische Thema hat etwas mit Deutschland zu tun, nur weil es auf Deutsch diskutiert wird. Dinge passieren hier schweizweit.

Und man darf am Nationalfeiertag nächsten Freitag böllern!!

In diesem Sinne: Parkieren wir unser Velo am Grillierplatz, füllen eine Zuchetti mit Thon und lassen das Natel einfach mal eine Weile ganz unspeditiv liegen.



Beleidigtschweigen


6/2014

Über ein halbes Jahr rum und immer noch angekommen!

Ich bin seit meinem letzten Beitrag NICHT umgezogen!! Wahnsinn, ich habe ja schon sonst nicht so richtig oft was geschrieben, aber acht Monate sind glaube ich Rekord! Diese beiden Tatsachen in Kombination miteinander grenzen ja geradezu an Unwahrscheinlichkeit!

Jedes Mal, wenn ich mir vornehme, mal wieder einen neuen Beitrag hier rein zu schreiben, stöbere ich vorher ein wenig durch meine alten Geschichten und werde ob des Vergangenen ein bisschen sentimental. Aber nicht allein deswegen. Es ist unleugbar: meine Fähigkeit, mich gewählt, gewitzt und unterhaltsam pseudo-intellektuell auszudrücken hat mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ende meines Studiums sicht- und spürbar nachgelassen. Wehmütig blicke ich auf solch geistige Ergüsse von damals zurück wie »So redet sie nun mit stark auf und ab schwankender Sprachmelodie, stets in einem leicht entsetzten oder aufgebrachten Ton, Leitartikel-Überschriften zitierend auf ihren wehrlosen Gegenüber ein und versucht ihn damit von der Unsäglichkeit der Dinge zu überzeugen. Dabei verurteilt sie ob ihrer eigenen Gewöhnlichkeit alles Ungewöhnliche, weil es ihr ihre eigene Gewöhnlichkeit so sehr vor Augen führt, dass sie es nicht ertragen kann.« oder »Es dauert geschlagene 9 Minuten, bis ich sie in mein Buch starrend beleidigtgeschwiegen habe und sie wieder aussteigt.« Cool, jemanden beleidigtschweigen. Haha!

Nun, ich habe das wohl ein bisschen verlernt. Man kommt schnell aus der Übung, wenn man nicht jeden Tag quasi hauptberuflich schwafeln muss.

Da sich meine kleine Colonnette in erster Linie aus den absonderlichen Geschichten speiste, die ein Leben in mentaler und vor allem geographischer Bewegung so mit sich bringt, habe ich im Grunde gar keinen Anlass mehr zum Schreiben. Ich arbeite jeden Tag den ganzen Tag in einer Festanstellung und wenn die Orchesterhorde mich nach Hause lässt gehe ich selbst singen und trommeln oder mir singende Menschen in Kneipen oder auf Plätzen anhören, sehe nebenbei zu, dass mein kleiner Balkongarten vor sich hin wächst und ich nach und nach alles, was eben dieses da tut, mittelfristig verspeisen kann. Sieht aber gut aus bisher (außer bei den Gänseblümchen, die schmecken ja überhaupt nicht!). Insgesamt also eine nicht so schlechte, aber auch nicht gerade besonders großen Schwankungen unterworfene Work-Life-Balance. Ausbrüche nach oben oder unten sind selten und wenn, dann meist Wetter- oder Konzertbedingt.

Ihr seht: eigentlich ist mein Leben jetzt langweilig. Total gut!

Ich freue mich auf meinen ersten richtigen Hamburger Sommer (noch ein bisschen zu wenig Babyenten für meinen Geschmack), viel Radfahren, in Parks und an Alstern rumsitzen und draußen Sachen essen.
Cool!



Angekommen!


10/2013

Eigentlich wollte immer nach Hamburg. Jetzt bin ich da! Und es ist noch viel besser!

Vielleicht ein kurzer Abriss dessen, was zwischen Lübeck und heute so alles passiert ist.

Nach ein paar Wochen Überbrückungsphase mal wieder bei den Bökerhökern, bin ich seit Anfang des Jahres in der – für Kulturwissenschaftler – außergewöhnlichen und doch sehr erfreulichen Situation, mich in einem anständigen Arbeitsverhältnis auf der Grundlage ›Arbeit gegen Bezahlung‹ zu befinden und arbeite nun als Flohhüterin (Orchestermanagerin) bei der Hamburger Camerata.

Aus diesem Grund frönte ich das letzte halbe Jahr wieder meinem Lieblingshobby: Bahnfahren!
Fernpendeln – das ist noch viel lustiger als S-Bahn und Regionalzugfahren zwischen Heilbronn und Heidelberg; verstellbare Rückenlehnen, Teppichboden, keine Zwischenhalte sprich kein Rumgerenne, keine Durchsagen – alles sehr entspannt. Dazu kommt, dass auf solchen Strecken fast alle Mitfahrenden quasi hauptberuflich Zug fahren, das heißt es gibt kein Gezeter oder Gedrängel, jeder setzt sich da hin wo Platz ist, packt sein Buch aus oder unterhält sich leise mit einem Artgenossen.
Fernpendler sind ein bisschen wie Dauercamper. Wer sich augenscheinlich von der Gruppe abhebt und beispielsweise ein Gepäckstück größer als eine Aktentasche mit sich führt, ist Tourist und allerhöchstens eines Augenrollens würdig. ›Tourist‹ hat in diesem Fall nichts mit dem Wohnsitz, Reiseziel oder der sonstigen Intention der betreffenden Person zu tun und steht im Pendler-Jargon lediglich für ›Nicht-Pendler‹.
Wenn man eine ›reguläre‹ Bahnreise antritt und sich zu diesem Zweck auf den entsprechenden Bahnsteig begibt, empfiehlt es sich grundsätzlich, einen Platz auszuwählen, an dem die Menschentraube noch nicht so dicht ist um ggf. bei Einfahrt des Zuges schneller in denselben zu gelangen. Ganz anders verhält es sich bei Fernpendlern: Betritt man morgens den Bahnsteig, so wird ganz unmissverständlich sichtbar, dass sich an der Bahnsteigkante im Abstand von jeweils etwa zwanzig Metern kleine Menschenansammlungen gebildet haben, die nur sehr wenige ›Überläufer‹ aufweisen. Hier einen der freien Plätze zwischen diesen Grüppchen zu wählen wäre durchaus unklug, da der Fernpendler natürlich ganz genau weiß, wo seine Tür zum halten kommt. Stellt man sich also zwischen die Gruppen, wird man mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mitten zwischen zwei Einstiegen landen.
Will man nun so einen Fernpendler ein wenig necken und irritieren, so bietet es sich an, einfach mal die Lok ans andere Ende des Zuges zu klemmen, sprich aus dem Zug einen ›Schub‹ zu machen oder anders herum. Sobald der allwissende Pendler den Zug nun einfahren sieht und feststellt, dass statt der Lok-Seite heute das ›Hinterteil‹ vorweg kommt, folgert er spitzfindig, dass wohl die Wagenreihung umgekehrt sein muss und trottet – einer vorweg, alle anderen wie die Lemminge in einer Horde hinterher – zum anderen Ende des Bahnsteigs um nicht an der Erste-Klasse-Seite einsteigen zu müssen. Bis nun alle merken, dass tatsächlich nur die Lok an einer anderen Stelle ist und ansonsten alles wie immer und sich der Haufen geschlossen in entgegengesetzter Richtung zu seinem Ausgangspunkt zurückbewegt, hat sich bereits ein amüsantes Schauspiel ereignet, das auf ganz beeindruckende Weise das Rudelverhalten des Menschen darbietet.
Bahn-Anekdoten sind unerschöpflich – und nun aber endlich vorbei. Inzwischen wohne ich nur noch ein paar Meter von der Arbeit entfernt, da lohnt es nicht mal, in die U-Bahn zu steigen.

Ich bin jetzt offiziell Hamburgerin! (inklusive Paternoster Fahren im Einwohnermeldeamt)
Daher vielleicht noch ein paar zusammenhanglose Worte über meine neue Heimat:

Hamburg hat – gefühlt – die mit Abstand größte Meldedichte für Smarts. Kein Wunder, wer bitte fährt auch im Hamburger Stadtgebiet freiwillig Auto! Also wenn schon, dann sicher so eine Kasperbude. Gerade jüngst habe ich gelesen, dass es in Hamburgs Westen Bestrebungen gibt, Parkplätze gegen Radwege einzutauschen. Großartig! Die Radwegsituation hier ist furchtbar! Keine andere Stadt in Deutschland würde es jemals fertig bringen, einen ganzen neuen Stadtteil ohne einen einzigen Radweg zu bauen!

Und noch etwas: Ihr alle da draußen, die immer behauptet habt, in Hamburg sei es schwierig, Anschluss zu finden, weil alle so kühl, reserviert, schroff und vor allem »Neuen« gegenüber wenig offen seien: Ihr habt alle gelogen!
Mit den besten Grüßen an die vielen tollen Leute hier, die einfach ihre Decke ausbreiten, ein Stück rutschen und einem das Astra reichen. Danke Euch für so einen großartigen Start in meiner neuen Stadt.

CHEERS!



Hinfort


09/2012

Ich hatte ja versprochen, mich zu melden, wenn ich das nächste Mal umgezogen bin. Nun, das habe ich nicht ganz eingehalten. Dann will ich mal kurz alle »Äußerlichkeiten« auf den neuesten Stand bringen: Etwa 1 ½ Wochen bevor mein Praktikum im Orchester des hessischen Rundfunks offiziell hätte beendet sein sollen, wurde ich kurzerhand zum Schleswig-Holstein Musik Festival berufen. Diesmal mit Geld! Also wurden wieder einmal alle Zelte im Schnelldurchlauf abgebrochen, eine neue Zwischenmiete an Land gezogen und ab nach Lübeck. Im effizient packen bin ich inzwischen echt gut, trotzdem hat die deutsche Post seit dem letzten Jahr – auch dank meines ständigen Fahrrad-mit-mir-Rumtragens – deutliche Umsatzsteigerungen im Bereich Reisegepäcktransport zu verzeichnen.
Nun bin ich also endlich wieder in Norddeutschland. Im Rahmen meiner Arbeit hier habe ich das – streckenweise durchaus bergige – Schleswig-Holsteinische Land gut kennenlernen dürfen. Nicht weniger als vier Mal habe ich von Lübeck aus den Nord-Ostsee-Kanal überquert um Konzerten auf der anderen Seite des Landes, beispielsweise in Husum, Glückstadt oder gar auf Föhr beizuwohnen.
Von Lübeck selbst habe ich dadurch gar nicht so viel mitbekommen. Es lässt sich hier – zumindest im Sommer – sehr gut leben. Eine wunderschöne Altstadt, viele kleine Gassen und schöne Plätze, an denen man sich mal ans Wasser und in die Sonne setzen respektive legen kann. Auch der Weg zur Ostsee ist ja bekanntlich nicht weit.
Vielleicht an dieser Stelle mal wieder ein Rückblick: Seit ich im letzten Sommer in Berlin in der Presseabteilung einer Künstleragentur habe arbeiten können, bin ich nun, Schritt für Schritt, der Arbeit an der »eigentlichen« Materie immer näher gerückt. Während ich im Orchester ja schon viel mit den Musikern selbst zu tun hatte, sitze ich nun an einer Stelle, an der ich tatsächlich Dinge in die Hand nehmen kann. Man beginnt ganz klein, fragt mal hier und mal da an, verfolgt die Entwicklung selbst mit und am Ende steht ein ganzes Konzert und funktioniert und alle sind glücklich (idealerweise). Durchaus eine sehr spannende und abwechslungsreiche Arbeit, wenn man mal die Vielfalt der Konzerte und Projekte betrachtet, wie sie so im Laufe des Festivals verteilt sind.
Man soll ja gehen, wenn’s am schönsten ist – ist übrigens ein Scheiß-Spruch!
Leider war von vornherein klar, dass der Spaß nicht lang dauern würde. Das Festival ist vorbei, alles kommt ein bisschen zur Ruhe und kehrt zum Alltag zurück. Und ich muss nun mal schauen, wohin mit mir als nächstes.



Dichter und Bänker


04/2012

Eines schönen Tages, vor langer, langer Zeit, schnürte ich mein Bündel und machte mich auf den Weg, in die große weite Welt hinauszuziehen. Drei Zwischenmieten, viele Monate aus dem Koffer und fünf Umzüge später bin ich nun hier gelandet: im Land der Grünen Soße. Und ein Ende scheint noch nicht in Sicht. Wie es dazu gekommen ist? Nun, ich denke, ich beginne ganz vorn. Nein, nicht ganz, denn der einsetzende, wenn auch unterbrochene Urbanisierungsprozess ist sicherlich allen noch gut im Gedächtnis.
Nachdem ich inzwischen, hoffentlich erfolgreich, mein Studium abgeschlossen habe – Ergebisse sollten in den nächsten Wochen folgen – werde ich, wie schon in Berlin, noch einmal zwei Monate lang ganz kostenfrei, geradezu ehrenamtlich, arbeiten. Diesmal im Orchesterbüro des hessischen Rundfunks. Was ich da mache? Nun, wenn Wagner auf dem Konzertplan steht, rufe ich: „Aaah! Waagner! Wir brauchen ganz schnell zehn Hörner und zwölf zusätzliche Harfen!“ Oderso. Und noch viele andere Sachen – Noten verschicken, Musiker anmaulen, wenn die wieder nicht alles richtig ausgefüllt haben und so.
Nun, ich bin nicht ganz neu hier. Schon den ein oder anderen, meist um die zwei Monate andauernden Lebensabschnitt habe ich hier verbracht, meist bei Dunkelheit und Kälte.
Jetzt ist alles anders. Im Frühjahr in Frankfurt zu sein eröffnet mir ganz neue Facetten von der „Stadt der Literatur und des Geldes“, die ich bislang für Mythen gehalten hatte. Grüne Soße zum Beispiel. Ein traditioneller Frankfurter Kräutermatsch mit – wie der Name bereits andeutet – ausgesprochen hoher Chloroplastendichte.

Die ist zu dieser Jahreszeit auch auf der Zeil, der hiesigen größten Einkaufsstraße, erstaunlich hoch. Noch nie habe ich da Bäume blühen sehen!
Auch Radfahren ist in diesem Teil Deutschlands für mich neu. Wohnte ich bislang an aus eigenen Kräften kaum zu bewältigenden Steigungen im Osten der Stadt, bietet sich mir auf der anderen Seite eben jener ein ausgesprochen gut ausgebautes Radweg-Netz, welches ausgiebig zu nutzen inzwischen zu meinem täglichen Arbeitstag gehört – von den Unmengen an Fahrradständern, die hier überall in der Gegend rumstehen, mal ganz abgesehen!
Frankfurt im Frühjahr ist wirklich sehr angenehm. Ich meld mich wieder, wenn ich das nächste Mal umgezogen bin. Also bis dann, macht’s gut!



Urbanisierung


08/2011

Wie lange ist mein letzter Eintrag her? Sehr lange. Gefühlte 3 Jahre. Ich möchte zunächst einmal alle und alles auf den aktuellen Stand bringen: Ich habe Kackstadt (Heilbronn) erfolgreich verlassen. Eine aufregende dreimonatige Phase (Kündigungsfrist der Wohnung) des Nicht-viel-Wissens ging somit Ende Juni sehr stressig und doch erfolgreich zu Ende. Nach einer kurzen Zeit der Obdachlosigkeit und einhergehender illegaler Untermiete in Mannheim (man bemerke schon an dieser Stelle den sich einstellenden Urbanisierungsprozess) bin ich nun offiziell eingetragener Berliner!
Und warum ist sie jetzt freiwillig aus dem schönen Heilbronn über das noch schönere Mannheim ausgerechnet nach Berlin of all places gegangen? Meine Studien sind inzwischen bis in das fünfte Fachsemester fortgeschritten und es war an der Zeit, sich nach einer – in meinem Fall ja erneuten – Berufsorientierung umzusehen, sprich sich auf die Suche nach einem studienbezogenen Praktikum zu machen. Das ist heutzutage nicht mehr so leicht wie es sich anhört, denn im geisteswissenschaftlichen Bereich werden an Bewerber für meist monatelange undbezahlte Praktika Ansprüche gestellt, wie an solche für Führungspositionen. Dennnoch machte ich mich Anfang des Jahres an die Arbeit und dabei herausgekommen sind zwei jeweils zweimonatige Praktika in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Konzertdirektion Schmid, einer Künstler- und Orchesteragentur hier in Berlin, sowie im kommenden Frühjar, nach Beendigung des Studiums, im Orchestermanagement des hr-Sinfonieorchesters in Frankfurt. Eine nicht so schlechte Ausbeute!
Wie ist es hier so? Grundsätzlich ja erstmal nicht allzu unbekannt. Das Wohnheimzimmer, das mir als studentischer Praktikant dankenswerterweise zusteht, erinnert mich stark an jene in Frankreich, außer, dass wir da zumindest noch das Waschbecken auf dem Zimmer hatten. Dafür teilt man sich hier Küche – die im Übrigen voll ausgestattet ist, sprich MIT Kühlschrank und Schränken – und Dusche anstatt mit 30 nur mit 6 Personen. Der Wohnheimkomplex erinnert ein bisschen an einen Campingplatz im Wald, wird aber gerade saniert und man begegnet hin und wieder dem ein oder anderen Bauarbeiter auf dem Gerüst vor seinem Schlafzimmer.
Davon bekomme ich allerdings nicht allzu viel mit, da ich den ganzen Tag in der Agentur sitze und Pressemappen zusammenstelle und die anstehende Büro-Eröffnungsfeier organisiere.
Heimweh? Kaum. Auf dem Weg zur Arbeit fahre ich durch den Tiergarten an der Siegessäule vorbei und durch das Brandenburger Tor. Und wenn das mal nicht urban ist!
An meinem zweiten Arbeitstag durfte ich darüber hinaus direkt mal im Archiv der Heilbronner Stimme anrufen um ein Belegexemplar zu bestellen, außerdem ist ja unmittelbar gegenüber der Agentur „Die Maultasche – schwäbische Spezialitäten in Berlin“. Und dass der Schwabe schon seit Jahren in Berlin invadiert und das auch indirekt Thema des aktuellen Wahlkampfes ist, ist ja bekannt. Hier an meinem frisch gefundenen Outdoor-Arbeitsplatz mit Rückenlehne und Spreeblick werde ich mich nun an die Erledigung von aus Heidelberg mitgebrachter Arbeit machen. Bis bald aus der großen Stadt!



Du kannst nicht entkommen!


02/2011

Seit letztem Juli ist eine Weile vergangen. Ein ganzes Semester und ein Jahreswechsel samt Zubehör. Viel Außergewöhnliches ist in dieser Zeit nicht geschehen. Durch einen reich gefüllten Stundenplan und zwei Nebenjobs konnte ich mich schon länger nicht mehr über Langeweile beklagen. Und auch jetzt, da die „Semesterferien“ wieder begonnen haben und ich zwei Seminararbeiten einzureichen habe, werde ich sicher weiterhin gut ausgelastet sein.
Mein Vorsatz für 2011: Genau den Kalender samt regionalen Feiertagen studieren um auf „Bibliotheksreisen“ keine böse Überraschungen zu erleben.
Heute, zur Feier des Tages und weil man das einmal im Jahr so machen sollte, haben wir ein lokales Fischrestaurant mit Tischdecken, Garderobe und norddeutschem Koch aufgesucht in der Absicht, einen schönen Abend zu verbringen und so der Heilbronner Alltags-Tristesse für ein paar Stunden zu entfliehen. Genannter Koch kam nun kurz nach unserem Erscheinen und Platz-Einnehmen persönlich an unseren Tisch und erzählte uns, was es den heute so alles gebe. Um es vorweg zu nehmen, das Essen, welches nicht Mittelpunkt dieser Darstellung sein soll, war vorzüglich, das Personal freundlich und kompetent, alles wirklich sehr schön und gelungen…
Ganz hinten links in der Ecke, gleichzeitig mit uns das Restaurant betretend, setzte sich ein Paar, offensichtlich in der Kennenlernphase, Gesprächsbrocken ließen Phrasen wie „Isst du eher Fleisch?“ und „Ich trinke nicht so gern trockenen Wein“ verlauten. Schon nach kurzer Zeit konnte der erfahrene seine-Umwelt-und-die-Menschen-Beobachter feststellen, dass es sich bei der Dame um eine jener Sorte handelte, die es im hiesigen Raum in ungewöhnlich großen Zahlen zu geben scheint. Eine Beschreibung ist für einen nicht-Sozio-Linguisten wie mich schwierig, da es sich vor Allem um Parameter wie Tonfall, Wortwahl und Syntax, aber auch Körpersprache und Gesprächsinhalt handelt. Das erste, was einem – zumindest mir – auffällt ist: boah, wie nervig! Man stelle sich eine junge Frau Mitte / Ende Dreißig vor, auf die Ellenbogen gestützt, vorgelehnt und mit hochgezogenen Augenbrauen. So redet sie nun mit stark auf und ab schwankender Sprachmelodie, stets in einem leicht entsetzten oder aufgebrachten Ton, Leitartikel-Überschriften zitierend auf ihren wehrlosen Gegenüber ein und versucht ihn damit von der Unsäglichkeit der Dinge zu überzeugen. Dabei verurteilt sie ob ihrer eigenen Gewöhnlichkeit alles Ungewöhnliche, weil es ihr ihre eigene Gewöhnlichkeit so sehr vor Augen führt, dass sie es nicht ertragen kann.
Sicher kennen viele diese Sorte Menschen, meist Frauen, bei denen man sich – je nach Intensität – auch mal dabei ertappt, wie man gerade in Gedanken jemanden kopfüber in die Kloschüssel steckt und spült. Gemessen an der Zahl solcher Persönlichkeiten hier in Schwaben, sind dies jedoch scheinbar ganz typisch schwäbische Eigenschaften, die da in Form von Charakter und Verhalten der Damen auf ganz unerträgliche Weise ans Tageslicht befördert werden.
Es gibt kein Entrinnen. Nichtmal in norddeutschen Fischrestaurants.
In solchen Situationen tauchen wie von Zauberhand gern Zeilen aus Wise Guys Liedern in meinem Kopf auf. So auch heute. (Ich wollte noch ein bisschen mit dem Versmaß klugscheißen, hat aber nicht geklappt):

„Du bist eine strapaziöse
Nervensäge und total gewöhnlich,
ich meine das nicht böse,
aber: bitte, nimm’s persönlich!“



Spackenstadt


07/2010

Ich habe Erkenntnisse gewonnen. Und Erkenntnisgewinn ist positiv, denke ich.

1.: Wenn man viel pendelt, relativiert sich die Wahrnehmung der Dauer von Bahnfahrten. DAS ist auf jeden Fall positiv, denn dadurch ertappt man sich manchmal bei Gedanken wie: Braunschweig-Berlin, 1 ½ Stunden? Na, da kann ich die Jacke ja anlassen.

2.: Alle schreiben Blogs. Alle.
Und es klingt bei allen gleich. Auch bei mir!
Und Alle! Schreiben aus ihrem Alltag. Alle (zumindest die meisten) könnten Platz in humorvollen Taschenbüchern mit Titeln wie „Tagebuch eines Endverbrauchers“ oder Anderem aus der immer größer werdenden Kategorie „Alltagswahnsinn“ finden.
Wer in der Stadt wohnt, hat wohlgleich mehr zu erzählen: von Betrunkenen und Randalierern unterm Fenster, Polizisten, die solche um 3 Uhr morgens zu beseitigen versuchen. Wer am Stadtrand wohnt muss gerne mal den ganzen Weg zu Fuß nach Hause laufen, weil die Verkehrsbetriebe schon wieder streiken und Pendler und Reisende können ja sowieso aus dem schier unerschöpflichen Bahn-Anekdotenpool schöpfen um die Schmunzler der Leser auf ihre Seite zu kriegen.
Was das alles nun mit Spackenstadt zu tun hat, weil ich auch nicht. Mir erscheint das nur ein äußerst passendes Synonym für Heilbronn. Denn Heilbronn ist ja im Grunde gar nicht so hässlich, wie immer alle sagen. Hier laufen einfach nur viel zu viele hässliche Leute mit Scheißdialekten rum!

Und nun ein Aufruf an alle Braunschweiger: fahrt bitte alle! für ein Jahr nach Schwaben. Oder in die Kurpfalz, egal. Und wenn Ihr wieder nach Hause kommt, dankt jedem Morgen wem auch immer Ihr wollt dafür, dass alle um Euch herum – sogar das alte Ehepaar morgens beim Arzt im Wartezimmer – in der Lage sind, anständiges Deutsch zu sprechen!
Ich hoffe, Ihr wisst das zu schätzen.
Bis dahin
Schöss!



Mal was Anderes.


04/2010

An dieser Stelle könnte ich mich – diesen Monat mehr denn je – natürlich wieder in Hülle und Fülle über die Skurrilitäten und Unannehmlichkeiten Heilbronns auslassen, in dem ich von Taubeneiern und –exkrementen auf meinem Balkon, Fußballspielern auf meinem(!) Basketballfeld („Geht’s noch? Was machst Du in meinem Spielfeld, du Arschkind?“ „Alder isch muss ne Ecke schießen vielleischt!?!“) und natürlich von hiesigen kleinkriminellen Arschkrampen, die einem sämtliches Eigentum klauen (oder zerlegen wenn’s festgeschraubt ist) sobald man sich umdreht, berichten. Das bringt aber nur schlechte Laune und ein mieses Karma, deshalb mach ich heute mal was Anderes: ich erzähle Euch von meiner letzten „Forschungsarbeit“. Da natürlich kein Normalsterblicher dieses Musikwissenschaftliche Fachblabla versteht, gibt’s eine aufbereitete und ein bisschen vorgewärmte Version dessen, was sich in meiner Arbeit auf rund 30 Seiten erstreckt.
Es geht um Opern. Die mag eigentlich keiner – zumindest ist immer das erste, was man hört, wenn heute irgendwo eine Opernsängerin am Werk ist „Warum schreit die denn so rum? Gib der doch mal was zu essen!“ Das interessante daran ist allerdings, das Opern aus zwei Teilen bestehen: einer Musik und einem Theaterstück. Und genau das habe ich untersucht. Ich habe mir zwei CDs genommen, die laut Cover beide das gleiche beinhalten sollten. Dass das meistens nicht der Fall ist, wenn es sich um verschiedene Interpreten handelt, sieht man oft genug in der Popmusik, wenn jemand ein altes Lied covert: das ist dann zwar noch das gleiche Lied, hört sich aber irgendwie ganz anders an. So ist es auch bei klassischer Musik. Zwar spielen hier die Musiker immer die gleichen Noten und man braucht sicherlich ein bisschen mehr Erfahrung um die Unterschiede rauszuhören, aber vorhanden sind sie dennoch.
In der klassischen Musik gibt es eine Entwicklung, die sich „Historische Aufführungspraxis“ nennt. Das heißt der Musiker schaut sich ganz genau die Bedingungen zur Zeit der Entstehung des Stücks an und obwohl er heute vielleicht eine technisch viel bessere Geige zur Verfügung hätte, benutzt er eine alte, möglichst original aus der Zeit, um einen Klang zu erzeugen, wie er damals auch geklungen haben mag. Ob das stimmt weiß natürlich keiner, dummerweise hat Mozart keine Aufnahmen von seinen Stücken machen können. Aber die Suche nach größtmöglicher Authentizität ist heute allgegenwärtig. Der Grundgedanke bei dieser Arbeit ist immer die Komponisten-intention, also was wollte der Komponist, das wir spielen? Das ist der wichtigste Unterscheid meiner beiden CDs: hat das Orchester versucht, so original wie möglich zu klingen oder hat es einfach so gespielt, wie es die Zu-schauer im 20. Jahrhundert gewöhnt sind?
Jetzt kommt das Bild dazu: ich habe eine Inszenierung aus den 70ern und eine von 2006 im Vergleich. Da findet selbst der Laie sofort Unterschiede: Brokatkleider gegen Leinenhosen, eine Illusionsbühne gegen einen einfarbigen Hintergrund und so weiter. Offensichtlich versucht der Regisseur hier nicht immer mehr dem Original zu entsprechen. Die große Frage ist jetzt: warum nicht? Warum gibt es in der Musik die Tendenz, alles so original wie möglich umzusetzen und bei der Inszenierung passiert genau das Gegenteil nämlich eine Übertragung des Geschehens in die heutige Zeit. Wenn man sich jetzt Mozarts Uraufführung von 1781 ansieht, stellt man fest, dass auch er seine Oper der Zeit angepasst hat: trotzdem dass dem Ganzen eine griechische Tragödie zugrunde liegt, tragen Mozarts Schauspieler Uniformen und Kleider aus dem 18. Jahrhundert, also etwas, woran sein Uraufführungsublikum gewöhnt war und nicht etwa griechische Gewänder. Wollte Mozart nun, dass wir es genauso machen wie er oder wollte er, dass wir unsere Produktion an die Zeit anpassen – genau wie er?
Darüber streiten sich Musiker und Wissenschaftler. Manche lassens einfach ganz bleiben und versuchen gar nicht erst, original zu klingen; wie Jacques Loussier zum Beispiel, der sich mit seinem Jazz-Trio auf Bach-Interpretationen spezialisiert hat.

Viel Spaß damit und bis bald!



Aaaaah! Aaaaah! Alles voller Bekloppter hier!


02/2010

In Deutschlands größter Möchtegern-Karnevalshochburg aufzuwachsen ist nicht immer leicht. Ich erinnere mich an Lobpreisungen des Braunschweiger Karnevalsumzugs als den nach Köln und Mainz mal drittgrößten in ganz Deutschland, er hat sogar eine eigene Kategorie im Wikipediaeintrag „Karnevalsumzüge“ bekommen. Außerdem erinnere ich mich an mit maschinengewehrgroßen Wasserpistolen bewaffnete Schülervertreter, die jedes Jahr an Rosenmontag auf diese Weise gelangweilte Flüchtlinge von der Flucht von der total fetzigen Rosenmontagsparty abhalten sollten (wegen der Schulpflicht!) und Gewinnspiele, die zumindest ein paar Leute dazu bringen sollten, sich (un)freiwillig zu verkleiden. Meistens haben alle gewonnen, die verkleidet waren (alle 10). Nach dem Umzug am Sonntag und der Party in der Schule war der Spuk also vorbei. Man kann daraus schließen, dass es sich bei Karneval um ein punktuelles Ereignis handelt, nicht wie Weihnachten, das sich ja im Grunde über eine ganze Woche erstreckt.
Das nur als Grundlage für das nun Folgende.

Als anständiger und gewissenhafter Student mache ich in den Semesterferien natürlich keinen Urlaub sondern arbeite an meiner Seminararbeit. Dazu bedarf es einer Menge Fachliteratur, die ich nun leider nicht in der Stadtbücherei Heilbronn bekomme. Ich schnappe mir also meinen größten Rucksack und besteige den Zug nach Heidelberg, im Grunde nichts Besonderes, denn das mach ich inzwischen schon eine ganze Weile so.
Kurz vor Heidelberg steigen plötzlich ein paar verkleidete, bemalte und vor allem lärmende Gestalten hinzu, die mich daran erinnern, dass ja am Wochenende Fasching war und jene dort offensichtlich noch ein paar Überreste davon sind. In dem Moment jedoch, da ich den Heidelberger Hauptbahnhof betrete, mutiert meine einst wertfreie Feststellung sogleich in eine böse Vorahnung: zu viele bunte, lärmende Menschen, als dass es sich hierbei noch um Überreste handeln könnte.
Meine erste Begegnung mit den Heidelberger Faschingsgepflogenheiten findet vor den verschlossenen Türen des rnv-Kundenzentrums statt, das aufzusuchen es notwendig ist, um mein Semesterticket verlängern zu lassen. Beim Lesen der Information „Sehr verehrte Kunden, wir haben von Samstag, 13. bis Dienstag, 16.2.’10 geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis“ gehen mir Dinge durch den Kopf wie „WAAS? Und deshalb komm ich hier extra hergegurkt? Es ist Dienstag!“
Dass der Bus vom Bahnhof in die Stadt eine geänderte Streckenführung verfolgt, wundert mich auch nicht mehr weiter, ich kenn mich ja inzwischen genug aus, als dass ich mir ungefähr ausrechnen kann, wo ich landen könnte und wie ich dann von da aus weiterkomme. Was für die verkleideten Japaner hingegen nicht zutrifft. Sieht irgendwie niedlich aus, so’n verwirrter Japaner mit grünen Haaren…
Abgesehen davon, dass mir jemand ein Buch, das ich ausleihen wollte, noch am selben Morgen vor der Nase weggeschnappt hat, verläuft mein Bibliotheks-Aufenthalt erstaunlich erfolgreich und ohne größere Zwischen- oder Runterfälle. Das war ja auch nicht immer so!
So. Ich muss noch ein paar Kopien machen, aber erstmal was essen. Also ab in die Mensa, das beinhaltet allerdings auch das Überqueren der Hauptstraße, wo sich beängstigend viele der obig genannten Menschensorte versammelt haben und immer mehr und lauter werden. Trotz der bunten Japaner im Vorfeld ist dieser Anblick nach einer Weile grauer stiller Bibliotheksatmosphäre wieder aufs Neue befremdlich. Selbst die Kassentante in der Mensa, die NIE spricht (außer man weiß nicht, dass man den Teller auf die Wage und die Karte ins Lesegerät tun muss, dann sagt sie „Bar?“), trägt ein Papphütchen. Nach dem Essen noch kurz beim Bäcker vorbei, einen Donut und Kaffee bevor’s ans Kopieren geht. Hallo? Die Back Factory hat zu? Was?? Hmm, dann halt keinen Kaffee: und keine Kopien, denn: das Seminar hat AUCH zu! Also gut, dann eben nicht. Ich wusste ja schon immer, dass die Welt mich hasst. Ich nehme einen Bus zum Bahnhof, der eine halbe Stunde bevor mein Zug fährt dort ankommen soll. Aber: Pustekuchen. Durch den Umzug auf der Hauptverkehrsstraße ist natürlich alles verstopft und ich komme gerade noch rechtzeitig am Bahnhof an. Immerhin haben die Bäckereien da geöffnet.
Nun werdet Ihr den Kopf schief und den Zeigefinger an den Mundwinkel legen und sagen: Moment mal! Sie war doch vor einem Jahr um diese Zeit auch schon in Heidelberg. Ha! Sie kann also nicht behaupten, sie hätte von nichts gewusst! Nun: weit gefehlt! Außer einem Veedelszug, der zwar auch in Plankstadt dafür sorgte, dass der Bus irgendwie anderslang fuhr, hat man in der Isolation der Provinz nichts von irgendwelchen komischen Veranstaltungen dieser Art mitbekommen. Und Heilbronn ist ja bekanntlich das Äquivalent zu Plankstadt, nur mit mehr Leuten. Hier wird Valentinstag größer gefeiert als Fasching.
Fazit: Im Grunde hatte ich echt eine Menge Glück heute. Wenn man es so bezeichnen möchte. Mein Semesterticket konnte ich glücklicherweise am Bahnschalter erwerben, die UB hatte NICHT geschlossen und ich habe vermutlich gerade rechtzeitig im letzten Moment noch die Hauptstraße überquert, bevor der Faschingsumzug die Stadt in zwei Hälften geteilt hatte.

PS: Dieses Dreckswetter, kann das vielleicht endlich mal aufhören? Länger als 1 ½ Tage? Hatte ich erwähnt, dass unser Fahrradraum im zweiten Untergeschoss ist und ich das Fahrrad, weil ich es bei -10°C nachts nicht draußen stehen lassen kann, jedes Mal zwei Stockwerke rauf und wieder runtertragen muss? Was ist denn jetzt mit dieser blöden Klimaerwärmung?