Erreichen der Traum-Masse


7/2014

Heute: Ich in ›Nachbarn Kennenlernen‹

So springt es einem auf zehn mal zehn Meter großen Transparenten entgegen, wenn man nach mehrstündiger Zugfahrt endlich den Schweizer Bahnhof Basel SBB erreicht und dessen Bahnhofshalle betritt. Irritiert überlegt der Deutsche kurz, ob es sich hierbei wohl um die Werbung für übermäßigen Verzehr der vielgerühmten Schweizer Schokolade handelt, der einem diese ersehnte Körpermasse zu verschaffen verspricht. Kurz darauf aber besinnt er sich auf seine selbstverständlich gründliche Reisevorbereitung: der Schweizer in seiner natürlichen Umgebung kennt weder ein ›ß‹ noch dessen für uns Deutsche gewohnte Verwendung.
Aus diesem Umstand entstehen so amüsante Dinge wie eben jene Traummasse oder die zahlreichen, in den Schweizer Stadtplänen verzeichneten ›Strasse‹, die sicher nichts mit Glasmodeschmuck zu tun haben.

Willkommen bei meiner ganz persönlichen Premiere. Ich schreibe einen Urlaubs-Blog! Gern würde ich anfügen »aber keinen gewöhnlichen!«, aber das wäre vermutlich anmaßend, auch wenn dies sicher kein Urlaubstagebuch à la »Heute waren wir baden« wird.
Ich habe mich auf eine kurze Entdeckungstour zu unseren eidgenössischen Schokolade-und-Käse-Nachbarn begeben, inspiriert und motiviert durch die Gerhard Richter Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel, und weiter befruchtet durch den Gedanken, dieses uns ja gar nicht so fremde Land kaum je gesehen noch kennengelernt zu haben. Einem relativ wenig strukturierten Blick auf die Landkarte und in den Reiseführer entsprangen dann die eher subjektiv und spontan ausgewählten Stationen Basel, Lausanne, Zürich und St. Gallen.

Gut. Also Basel. Ich hatte, von ihrer spezifischen Grenzlage abgesehen, nicht viel von dieser Stadt gehört und bin somit ohne große Erwartungen oder Vorurteile dort angekommen.
Die allerbeeindruckendste Sehenswürdigkeit, die diese Stadt zu bieten hat, ist der Blick auf sie vom Wasser aus. Und zwar nicht etwa vom Boot oder einer Rheinfähre, sondern ganz höchstselbst direkt aus dem Wasser: das sogenannte ›Rheinschwimmen‹. Eine großartige Baseler Institution und umso erstaunlicher, dass sie erstens erlaubt und zeitens auch noch kostenlos ist (ein Zustand, der sich so schnell in diesem Urlaub nicht wiederholen sollte).
Das Prinzip ist folgendes: Man organisiert einen wasserdichten Sack, begibt sich zu einer bestimmen Einstiegsstelle, schmeißt sein Hab und Gut in eben jenes Behältnis, bindet es sich irgendwie um und steigt, gemeinsam mit den vielen anderen ›Rheinscheimmern‹, ins Wasser. Die Rheinströmung hier ist so stark, dass man sich von nun an einfach, auf seinen Schwimmsack gestützt wie auf einen Rettungsring, von der Strömung flussabwärts treiben lassen und die Aussicht genießen kann. An einem der vielen Ausstiegspunkte, von denen viele mit extra dafür vorgesehenen Bremsmöglichkeiten (am Ufer befestigte Ketten oder Griffe) versehen sind, legt man eine Pause ein oder lässt sich am Ufer von der Sonne trocknen, bevor man seine trocken gebliebenen Utensilien wieder aus dem Sack holt und zu Fuß durch die Stadt witerzieht.
…die alles in Allem eher ernüchternd daherkommt. Architektonisch helfen die zahllosen Herzog & de Meuron Architektur-Perlen kaum über die Gräue, Enge und Menschenleere der Innenstadt hinweg, sodass von ›Stadtbild Prägen‹ trotz derer großen Zahl hier kaum die Rede sein kann. Hier stellt sich kein Gefühl von Verweilen ein.

Lausanne, kurz vor Franznasenland. Eine schöne Stadt, ein See, Berge und so. Und sie sprechen Französisch, das macht die Menschen sympathisch!
Auf dem großen Theaterplatz gibt es einen schönen, völlig unübersichtlichen, riesigen Flohmarkt, auf dem alte Franzosen (ja ich weiß, keine Franzosen, aber sie sehen doch so französisch aus!) haufenweise Kisten mit noch viel haufenweiserem unglaublich unnützem Zeug anschleppen und vermutlich seit 15 Jahren zu verkaufen suchen. Ich für meinen Teil konnte nicht widerstehen und musste einen altmodischen, bräunlich getönten Glasmessbecher für 2 Franken kaufen, und wenn nur, um meine Mitbewohner mit der französischen Beschriftung zu ärgern!
Lausanne? Eine etwas zwiespältige, sehr französisch anmutende Stadt mit einer hübschen kleinen historischen Altstadt, einem kleinen Segelhafen und fancy neu gestalteten ehemaligen Industrie- und heute Unterhaltungsvierteln mit teuren Bars, alles direkt beieinander.

Wenn man mit der Bahn in Hauptbahnhöfe europäischer Städte einfährt, lässt die jeweilige Bahnhofsumgebung oft noch nicht auf das zugehörige Stadtbild schließen. So ist es wohl auch bei den beiden Deutsch-Schweizer Städten Basel und Zürich. Nach der Baseler Ernüchterung fragt man sich bei genau dieser Bahnhofseinfahrt beim Anblick der beige-grauen Hochhäuser um die Gleise herum, was einen nun hier erwarten könnte.
Ein erster nachmittäglicher Stadtrundgang einmal rings um die Limmat, um die herum sich der Zürcher Stadtkern gleichmäßig verteilt, bei allerherrlichstem Stadtrundgangwetter versichert uns, dass in der Schweizer Urbanität noch nicht alle Hoffnung verloren ist.
Zürich, von dem man sich nach einer Weile Bewunderung klar macht, dass es ja von aller Kriegszerstörung des 20. Jahrhunderts verschont geblieben ist, überrascht hinter jeder Ecke neu mit wunderschönen Fassaden, kleinen Gassen und gemütlichen Cafés und Restaurants. Hier scheint es kein Wort für ›hässlich‹ zu geben, zumindest aber braucht man es einfach nicht. Wo man auch hin schaut, alles ist irgendwie hübsch und nur höchstens 50 Meter vom Fluss oder See entfernt. Innerhalb von 20 minuten Autofahrt erreicht man alle paar Meter einen neuen Aussichtspunkt auf den Erhöhungen, in deren Tal sich der wunderschöne und klare Zürichsee ausbreitet. Da weiß man gar nicht, ob man zuerst baden, essen, flanieren oder wandern gehen soll. Ich bin begeistert, raste aus, drehe durch, so schön is das!
Nachdem ich dieses Zürich nun einmal live und selbst erleben durfte, werde ich nun das Schweiz-Kapitel aus Stefan Zweigs ›Erinnerungen‹ noch einmal lesen müssen, um dessen Bedeutung als Zufluchtsinsel während der Kriege neu und jetzt ganz anders erfahren zu können.
Bleibt zu hoffen, dass die hier bald in die Euro Zone eintreten, damit man sich da auch mal ein Eis kaufen kann, ohne vorher einen Kredit aufnehmen zu müssen…

Wieder fort und zum letzten Ziel: St Gallen. Eine unlogische Stadt. Hier gibt es keinen See und keinen Fluss. Das macht überhaupt keinen Sinn. Warum sollte hier irgendjemand leben wollen?!? Die historische Relevanz durch die Klosterbibliothek ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.
Ansonsten eine Stadt mit gefühlt ›ausgeleckten Ecke‹. Hier gibt es keinen Dreck, keine Baustellen, keine Obdachlosen, und auch sonst nichts, was es in normalen, lebendigen Städten geben müsste, worüber man sich aber immer nur aufregt. Darüber hinaus haben hier alle(!) gastronomischen Einrichtungen über den Sommer Sonntags zu. Ich weiß nicht, ist hier ein Hier ist die Welt noch in Ordnung angebracht?

Also, ich mag meinen Regenschirm ja wirklich gern. Er ist pink, mit blauen Herzen. Und er hat einen lila Stiel. Aber nach einer Woche Dauernutzung habe ich echt keine Lust mehr auf den. Während alle in Hamburg bei 30 Grad sicher jeden Tag baden waren, habe ich in der Schweiz tagelang meinen Schirm von einer Stadt zur nächsten getragen. Ich finde das nicht gerecht.

Und à propos Schweiz. Was ich über die Schweiz und die Schweizer auf meiner kleinen Rundreise erfahren habe? Sicher einiges.
Alles ist viel zu teuer. Zumindest für deutsche Normalverdiener. Das ist schade, denn es ist wirklich sehr schön und ich könnte mir vorstellen, hier öfter herzukommen. Allerdings nicht unter diesen Voraussetzungen.
Man ist stolz. Überall kleben kleine weiße Kreuze auf roten Tassen, Kochlöffeln, Windjacken oder Regenschirmen(!). Man weiß, dass man eben nicht Deutsch ist. Sondern Schweizer.
Es ist interessant, eine Schweizer Tageszeitung zu lesen. Das heilt einen ein wenig von unserem angeborenen und antrainierten Germano-Zentrismus. Nicht jedes politische Thema hat etwas mit Deutschland zu tun, nur weil es auf Deutsch diskutiert wird. Dinge passieren hier schweizweit.

Und man darf am Nationalfeiertag nächsten Freitag böllern!!

In diesem Sinne: Parkieren wir unser Velo am Grillierplatz, füllen eine Zuchetti mit Thon und lassen das Natel einfach mal eine Weile ganz unspeditiv liegen.