Aaaaah! Aaaaah! Alles voller Bekloppter hier!


02/2010

In Deutschlands größter Möchtegern-Karnevalshochburg aufzuwachsen ist nicht immer leicht. Ich erinnere mich an Lobpreisungen des Braunschweiger Karnevalsumzugs als den nach Köln und Mainz mal drittgrößten in ganz Deutschland, er hat sogar eine eigene Kategorie im Wikipediaeintrag „Karnevalsumzüge“ bekommen. Außerdem erinnere ich mich an mit maschinengewehrgroßen Wasserpistolen bewaffnete Schülervertreter, die jedes Jahr an Rosenmontag auf diese Weise gelangweilte Flüchtlinge von der Flucht von der total fetzigen Rosenmontagsparty abhalten sollten (wegen der Schulpflicht!) und Gewinnspiele, die zumindest ein paar Leute dazu bringen sollten, sich (un)freiwillig zu verkleiden. Meistens haben alle gewonnen, die verkleidet waren (alle 10). Nach dem Umzug am Sonntag und der Party in der Schule war der Spuk also vorbei. Man kann daraus schließen, dass es sich bei Karneval um ein punktuelles Ereignis handelt, nicht wie Weihnachten, das sich ja im Grunde über eine ganze Woche erstreckt.
Das nur als Grundlage für das nun Folgende.

Als anständiger und gewissenhafter Student mache ich in den Semesterferien natürlich keinen Urlaub sondern arbeite an meiner Seminararbeit. Dazu bedarf es einer Menge Fachliteratur, die ich nun leider nicht in der Stadtbücherei Heilbronn bekomme. Ich schnappe mir also meinen größten Rucksack und besteige den Zug nach Heidelberg, im Grunde nichts Besonderes, denn das mach ich inzwischen schon eine ganze Weile so.
Kurz vor Heidelberg steigen plötzlich ein paar verkleidete, bemalte und vor allem lärmende Gestalten hinzu, die mich daran erinnern, dass ja am Wochenende Fasching war und jene dort offensichtlich noch ein paar Überreste davon sind. In dem Moment jedoch, da ich den Heidelberger Hauptbahnhof betrete, mutiert meine einst wertfreie Feststellung sogleich in eine böse Vorahnung: zu viele bunte, lärmende Menschen, als dass es sich hierbei noch um Überreste handeln könnte.
Meine erste Begegnung mit den Heidelberger Faschingsgepflogenheiten findet vor den verschlossenen Türen des rnv-Kundenzentrums statt, das aufzusuchen es notwendig ist, um mein Semesterticket verlängern zu lassen. Beim Lesen der Information „Sehr verehrte Kunden, wir haben von Samstag, 13. bis Dienstag, 16.2.’10 geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis“ gehen mir Dinge durch den Kopf wie „WAAS? Und deshalb komm ich hier extra hergegurkt? Es ist Dienstag!“
Dass der Bus vom Bahnhof in die Stadt eine geänderte Streckenführung verfolgt, wundert mich auch nicht mehr weiter, ich kenn mich ja inzwischen genug aus, als dass ich mir ungefähr ausrechnen kann, wo ich landen könnte und wie ich dann von da aus weiterkomme. Was für die verkleideten Japaner hingegen nicht zutrifft. Sieht irgendwie niedlich aus, so’n verwirrter Japaner mit grünen Haaren…
Abgesehen davon, dass mir jemand ein Buch, das ich ausleihen wollte, noch am selben Morgen vor der Nase weggeschnappt hat, verläuft mein Bibliotheks-Aufenthalt erstaunlich erfolgreich und ohne größere Zwischen- oder Runterfälle. Das war ja auch nicht immer so!
So. Ich muss noch ein paar Kopien machen, aber erstmal was essen. Also ab in die Mensa, das beinhaltet allerdings auch das Überqueren der Hauptstraße, wo sich beängstigend viele der obig genannten Menschensorte versammelt haben und immer mehr und lauter werden. Trotz der bunten Japaner im Vorfeld ist dieser Anblick nach einer Weile grauer stiller Bibliotheksatmosphäre wieder aufs Neue befremdlich. Selbst die Kassentante in der Mensa, die NIE spricht (außer man weiß nicht, dass man den Teller auf die Wage und die Karte ins Lesegerät tun muss, dann sagt sie „Bar?“), trägt ein Papphütchen. Nach dem Essen noch kurz beim Bäcker vorbei, einen Donut und Kaffee bevor’s ans Kopieren geht. Hallo? Die Back Factory hat zu? Was?? Hmm, dann halt keinen Kaffee: und keine Kopien, denn: das Seminar hat AUCH zu! Also gut, dann eben nicht. Ich wusste ja schon immer, dass die Welt mich hasst. Ich nehme einen Bus zum Bahnhof, der eine halbe Stunde bevor mein Zug fährt dort ankommen soll. Aber: Pustekuchen. Durch den Umzug auf der Hauptverkehrsstraße ist natürlich alles verstopft und ich komme gerade noch rechtzeitig am Bahnhof an. Immerhin haben die Bäckereien da geöffnet.
Nun werdet Ihr den Kopf schief und den Zeigefinger an den Mundwinkel legen und sagen: Moment mal! Sie war doch vor einem Jahr um diese Zeit auch schon in Heidelberg. Ha! Sie kann also nicht behaupten, sie hätte von nichts gewusst! Nun: weit gefehlt! Außer einem Veedelszug, der zwar auch in Plankstadt dafür sorgte, dass der Bus irgendwie anderslang fuhr, hat man in der Isolation der Provinz nichts von irgendwelchen komischen Veranstaltungen dieser Art mitbekommen. Und Heilbronn ist ja bekanntlich das Äquivalent zu Plankstadt, nur mit mehr Leuten. Hier wird Valentinstag größer gefeiert als Fasching.
Fazit: Im Grunde hatte ich echt eine Menge Glück heute. Wenn man es so bezeichnen möchte. Mein Semesterticket konnte ich glücklicherweise am Bahnschalter erwerben, die UB hatte NICHT geschlossen und ich habe vermutlich gerade rechtzeitig im letzten Moment noch die Hauptstraße überquert, bevor der Faschingsumzug die Stadt in zwei Hälften geteilt hatte.

PS: Dieses Dreckswetter, kann das vielleicht endlich mal aufhören? Länger als 1 ½ Tage? Hatte ich erwähnt, dass unser Fahrradraum im zweiten Untergeschoss ist und ich das Fahrrad, weil ich es bei -10°C nachts nicht draußen stehen lassen kann, jedes Mal zwei Stockwerke rauf und wieder runtertragen muss? Was ist denn jetzt mit dieser blöden Klimaerwärmung?


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