Die Sache mit den Uhren


08/2009

Ich bin schonwieder umgezogen. Ja, langsam bekomme ich Übung und meine Möbel immer mehr Kratzer und Kanten. Trotzdem kamen mir die Semesterferien gerade recht um mich in Ruhe in meinem neuen Heim einzurichten.
Ich wohne in Heilbronn. Das klingt jetzt im Vergleich zu „Ich wohne in Heidelberg“ vielleicht ein bisschen bemitleidenswert, aber im Vergleich zu „Ich wohne in Plankstadt“ (ich erinnere: das entsprach durchaus der Wahrheit!) kann es sich eigentlich nur um einen sozialen Aufstieg handeln, denn nach Plankstadt kommt nicht mehr viel. Nordwest Brandenburg vielleicht.
Jetzt wohne ich dritten Stock, mit einem Balkon und einem Haufen Fenster, mitten in der Stadt. In jeweils 2 Minuten bin ich am Bahnhof, bei der Arbeit und im Freibad und 100m von hier ist das Neckarufer und ganz viele kleine Enten!
Nun, die hier in Heilbronn vertretene Klientel ähnelt der Heidelberger in sehr wenigen Punkten. Trifft man in der Heidelberger Fußgängerzone hauptsächlich auf Akademiker, Studenten oder reiche Japaner und Amerikaner, begegnet man hier vermehrt Familien und jüngeren Menschen mit Migrationshintergrund. Den haben sie jedoch zumeist lange hinter sich gelassen und sich ganz der deutschen Kultur und Mode angepasst. Leider scheinen sie dazu schon lange nicht mehr in den Kalender geschaut zu haben um festzustellen, dass wir NICHT mehr die Achtziger Jahre schreiben und VoKuHiLas eigentlich auch schon eine Weile lang nicht mehr modern sind.
Aber jeder hat ja seine Funktion in der Gesellschaft. So auch unsere Mitheilbronner, denn: in Heilbronn braucht man dank ihnen keine Uhr! Zumindest nicht im Sommer.
Wenn man ein wenig aufmerksam durch den Tag geht, kann man anhand der Dinge, die in seinem unmittelbaren Umfeld geschehen, zweifelsfrei die Uhrzeit ablesen. Einigen davon entkommt man so oder so nicht und wenn man sich noch so sehr anstrengt.
Beginnen wir abends. Man sitzt gemütlich beim Abendessen auf dem Balkon, auf den die untergehende Abendsonne scheint und bemerkt, wie es langsam in der Innenstadt ruhiger wird. Schon das gibt zu verstehen, dass es 20 Uhr, vielleicht 20 Uhr 15 sein muss. Man hört, wie Geschäfte ihre Eingangstüren schließen und sieht, wie sie das Licht löschen. Der Brunnen auf dem Platz unter uns plätschert leise vor sich hin. Plötzlich: Stille. Der Brunnen ist ausgegangen: es ist 21 Uhr!
Nun, es wird auch langsam frisch und wir gehen rein, setzen uns aufs Sofa, lesen oder sehen uns einen Film an. Von gegenüber leuchtet die Kaufhof-Reklame ins Wohnzimmer, das schafft eine nette indirekte Beleuchtung. Plötzlich: dunkel! Aber halt: nicht etwa in die Falle tappen, denn das Kaufhofpersonal hier am Ort scheint mir ein wenig inkonsequent. Nun kann es entweder 21 Uhr 30 oder aber auch 22 Uhr sein. Die Frage wird sich aber schnell klären, denn sobald man sich auf den Weg ins Bett macht wird man feststellen, dass es plötzlich von draußen her ruhiger wird. Der Grund: die kleinen Geschwister der VoKuHiLa tragenden Jugendlichen mit Migrationshintergrund verlassen um 22 Uhr 30 mit ihren Muttis den Innenstadtspielplatz, gehen nach Hause und werden Um 23 Uhr von den Lans (von Ulanen, vom türkischen Wort „oğlan“ = junger Mann) abgelöst. Die setzten sich auf die Bänke am Spielplatz und spielen sich gegenseitig ihre neusten Klingeltöne vor und Mensch was haben die tolle Klingeltöne!
Von 0 bis 1 Uhr ziehen die vorgeglühten Discogänger sowie die Junggesellinnenabschiedsfeiern quietschende rosa Haufen in Scharen unterm Fenster vorbei, leicht oder starkt angetrunken, je nach Glut. Zwischen 2 Uhr 30 und 3 Uhr gehen die RICHTIG Betrunkenen nach Hause, die aus den Kneipen geflogen sind, als sie zugemacht haben.
Jetzt kann der Heilbronner in Ruhe schlafen, denn er weiß, dass alle heil nach Hause gekommen sind und alles ist wie immer.
Um 6 Uhr 30 beginnt der Tag – man braucht noch nichtmal einen Wecker! – mit der Reinigung der Fußgängerzone von Liegengebliebenem und Liegengebliebenen. Ordnung muss sein.
Die Fußgängerzone ist lang und wird eben dieser Länge nach mit dem Alba-Supermobil mit Kerosinantrieb grundgereinigt. Mein Schlafzimmer befindet sich am Ende und somit bekommt man auch die Snooze-Funktion gleich gratis dazu. Ab 6 Uhr 30 wendet Alba-Man alle halbe Stunde direkt unterm Fenster. Bis um 8 alles blitzsauber ist.
Dann muss das Alba-Mobil Platz machen für die LKWs, die Essen, Kleider und Mikrowellen zu den Geschäften bringen. Die LKW-Fahrer müssen dazu rückwärts (akustisches Rückwärtsfahren-Signal) an die Laderampen fahren und bei laufendem Motor ihre Hebebühnen anpassen und entladen. Das muss alles sehr schnell gehen, denn um 9.30 kommen die Heilbronner zur wilden Preisschlacht in meine Wohnung…


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